Von explodierenden Bildungskosten kann keine Rede sein, im Gegenteil …

In der aktuellen Debatte um die Zürcher Staatsfinanzen und die Bildungsausgaben gehen die Sparapostel unisono von unhinterfragten Glaubenssätzen aus: 

  1. Zürich muss sparen, weil nur so der gesetzliche mittelfristige Finanzausgleich erreicht werden kann.
  2. Zürich hat ein Ausgabenproblem.
  3. Gekürzt werden muss vor allem dort, wo die Ausgaben in den nächsten Jahren am stärksten steigen; dazu gehört auch die Bildung. Sie kann, so bedauerlich das auch sein mag, nicht «ausgespart» werden.

Alle drei Prämissen sind falsch – grundfalsch.

Zum mittelfristigen Finanzausgleich fehlen zwar wirklich rund zwei Milliarden. Grund dafür sind aber keineswegs die explodierenden Staatsausgaben. Zürich hat vielmehr ein akutes Einnahmenproblem. Finanzdirektor Ernst Stocker hat es im September 2015 ganz offen dargelegt: Die Steuereinnahmen der natürlichen Personen sinken trotz wachsender Bevölkerung in beunruhigendem Ausmass; der Kanton musste 2014 mit 267 Millionen weniger Einkommens- und Vermögenssteuern auskommen als vier Jahre zuvor. Auch die Einkünfte der juristischen Personen stagnieren – zur Erinnerung: die Grossbanken zahlen seit der Finanzkrise zwar nach wie vor Milliarden-Boni, aber keine Gewinnsteuern mehr. Das ist der Preis für die Steuersenkungen der letzten Jahre, die der Kantonsrat ohne Not beschlossen hat; Zürich steht nämlich im interkantonalen Steuersenkungswettbewerb ausgezeichnet da: bei den Einkommenssteuern an 10., bei den Vermögenssteuern sogar an 6. Stelle der gesamtschweizerischen Rangliste.

Die Bildungsausgaben sind gesunken

Der Anteil der Bildungsausgaben an den Gesamtausgaben des Kantons ist stabil, ja sogar leicht sinkend. Zudem: Die Bildungsausgaben des Kantons sind in den letzten 25 Jahren massiv zurückgegangen– nicht in absoluten Zahlen, wohl aber gemessen am Bruttoinlandprodukt. Das BIP als anerkannter Massstab für den Wohlstand hat sich seit 1992 verdoppelt. Gegenläufig haben sich die Bildungsausgaben entwickelt: Gab der Kanton im Jahre 1992 noch 3.9% des Bruttoinlandproduktes für Bildung aus, waren es 2013 nur noch 3.1%. Der Anteil der Ausgaben für die Mittelschulen sank sogar um rund einen Drittel, von 0.45 auf 0.3% des BIP.* 

Massgeblich dafür verantwortlich ist die Verkürzung der Mittelschuldauer um mehr als ein halbes Jahr – ein einmaliger Vorgang in der Geschichte des Zürcher Bildungswesens. Auch die Lehrerlöhne wurden deutlich gesenkt – ein Lehrer, der heute in den Schuldienst eintritt, wird mehrere 100’000 Franken weniger «Lebenslohn» erhalten als seine älteren KollegInnen.

Zürich ist zudem auf dem besten Weg, den Anschluss an die übrige Schweiz zu verlieren: Vor 25 Jahren lag die Maturitätsquote Zürichs noch deutlich über dem schweizerischen Mittel, seit 2000 verharrt sie auf tiefen 19%; 2014 erreichten gesamtschweizerisch 20.2% eines Jahrgangs einen gymnasialen Maturitätsabschluss, in Zürich nur gerade 18.7%. Zürich betreibt eine Politik des versteckten Numerus Clausus an den Gymnasien und importiert Jahr für Jahr lieber Zehntausende von Akademikern aus dem benachbarten deutschsprachigen Ausland. Niemand strebt eine massive Erhöhung der Quote an, aber mindestens den schweizerischen Durchschnittswert dürfte der Bildungskanton Zürich seiner bildungswilligen Jugend schon zutrauen.

Wenn schon kürzen, dann bitte intelligent

Selbstverständlich ist nicht jede Kürzung im Bildungswesen unmöglich. Es gäbe zum Beispiel die Möglichkeit, den Anteil der SchülerInnen im 6-jährigen Langgymnasium (heute 60%) um 10% zu reduzieren und dafür die Aufnahmequote aus der Sekundarschule entsprechend zu erhöhen. Das wäre gleichzeitig ein Beitrag zur Stärkung der Sekundarschule und würde dem Kanton mehrere Millionen «einbringen». Anders als die bisher vorgebrachten Kürzungsvorschläge würde dies nicht zu einem Bildungsabbau führen. 

Denn: Man sägt nicht ungestraft am (Bildungs)Ast, auf dem man sitzt …

Markus Späth-Walter, Kantonsrat, SP Fraktionspräsident, Gymnasiallehrer

* Die Zahlen beruhen auf einer Analyse der Bildungsausgaben, die Sandro Favre, Doktorand an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich, erarbeitet hat.