Wer Nationalismus sät, wird Instabilität und Konflikte ernten

Kantonsratskolumne für Dienstag, 28. 6. 2016

Der Austrittsentscheid Grossbritanniens aus der EU war am Montag auch ein Thema im Zürcher Kantonsrat. Ich präsentierte für die SP vor der Pause eine Fraktionserklärung, welche von einigen SVP-Parlamentariern anfänglich mit unüberhörbarem Triumph-Gejohle quittiert wurde. Es wurde dann aber bald wieder ruhig im Saale und ich konnte die Erklärung ohne weitere Störung vortragen.

Es ging uns darum zu betonen, dass die Europäische Union und ihre Vorgängerorganisationen Europa seit mehr als 60 Jahren die längste Friedensperiode seiner Geschichte geschenkt haben und dass diese Leistung höchste Wertschätzung verdiene. Die EU ist kein undemokratisches Bürokratiemonster. Gerade die Brexit-Abstimmung beweist das Gegenteil. Die Briten konnten gestützt auf Artikel 50 des Lissaboner Bündnisvertrag ihr demokratisches Recht wahrnehmen und über den Austritt abstimmen. Das ist selbst in den demokratischsten Verfassungen der Welt nirgends sonst vorgesehen.

Das Ergebnis der britischen Abstimmung ist selbstverständlich zu respektieren. Trotzdem muss es uns nachdenklich stimmen: Nicht nur in England – in vielen europäischen Staaten nehmen offensichtlich wachsende Teile der Bevölkerung die EU nicht mehr als Friedensprojekt wahr, sondern als Bedrohung: Globalisierungsverlierer, stagnierende Mittelschichten, Jugendliche ohne wirtschaftliche Perspektive und verunsicherte RentnerInnen lassen sich mit billigen populistischen und fremdenfeindlichen Parolen verführen. Personenfreizügigkeit ohne Schutz der Arbeitsplätze, Löhne und Renten machen sie anfällig für trügerische Lösungen auf dem Buckel der Schwächsten der Gesellschaft.

Die Antwort liegt auf der Hand: Sichere Arbeitsplätze, Einkommen, die zum Leben reichen, und Vertrauen in eine funktionierende Altersvorsorge sind unverzichtbare Grundwerte. Sie allein ermöglichen Solidarität und übernationale Kooperation. Die EU hat nur dann eine Zukunft, wenn es nach dem Brexit gelingt, die bisherige einseitige wirtschaftliche Liberalisierung mit sozialen Werte und Ziele zu flankieren. Das gilt im Übrigen auch für unser Land und für den Kanton Zürich. Fremdenfeindlichkeit und Abschottung werden auch bei uns wachsen, wenn Lohndumping und unfaire Arbeitsbedingungen nicht konsequent bekämpft werden. Gerade im Kanton Zürich haben wir da die Hausaufgaben alles andere als gründlich gemacht.

Ohne eine grundsätzlich Umbesinnung wird der Austritt Grossbritanniens die Sicherheit und den Wohlstand des ganzen Kontinents gefährden und die auseinanderstrebenden Kräfte in der Europäischen Union stärken. Das aber ist keine gute Perspektive. Wer Nationalismus sät, wird Instabilität und Konflikte ernten – zum Schaden Europas, der Schweiz und des Kantons Zürich.

Die grösste Überraschung erlebte ich dann nach der Pause, als mir einer der vehementesten EU-Gegner im Rat einen wunderbaren Strauss langstieliger roter (!) Rosen überreichte. Offenbar hat ihn die Fraktionserklärung tief beeindruckt; vielleicht wollte er uns aber auch nur trösten – so klar wurde das nicht … Es war jedenfalls eine Geste, die viel über den Umgang im Rat verrät. Wir sind hart in der Sache, immer mal wieder für eine Überraschung gut, begegnen uns aber (meistens) mit Respekt und nicht ganz ohne Sympathie – über alle Parteigräben hinweg.

Markus Späth-Walter, Kantonsrat SP, Fraktionspräsident, Feuerthalen