Hirslanden-Steuer, Spitalverselbständigungen – in Zürich sorgt die Gesundheitspolitik für Zündstoff, auch im Streitgespräch zwischen Markus Späth und Thomas Vogel, den Chefs der Kantonsratsfraktionen von SP und FDP

Im Kantonsrat wird derzeit an mehreren Fronten über Gesundheitsthemen gestritten. Sie beide sind in letzter Zeit wiederholt aufeinandergeprallt. Einigkeit scheint nicht in Sicht zu sein. 

Thomas Vogel: Ja, das ist so. Wir haben diametral entgegengesetzte Vorstellungen. Die SP will einen Spitalverbund schaffen, während wir der Meinung sind, dass es mehr Wettbewerb braucht. Markus Späth redet jeweils von einem ruinösen Wettbewerb, von dem ich jedoch nichts merke. Survival of the fittest gilt halt auch für Spitäler.

Markus Späth: Ich bin ein überzeugter Anhänger der sozialen Marktwirtschaft. Märkte lösen Probleme oft besser als der Staat. Aber im Gesundheitswesen funktioniert der Markt nicht. Wer krank ist, macht alles, was ihm ein Arzt sagt – oder lieber noch mehr. Zudem ist der Spitalmarkt zu mehr als der Hälfte vom Staat finanziert. Wir stellen den Spitälern schweizweit Milliarden von Franken zur Verfügung, haben aber kaum Steuerungsmöglichkeiten. Die Folge des Wettbewerbs ist eine massive Mengenausweitung bei den Bettenkapazitäten, den Behandlungen und der Infrastruktur. 

Vogel: Und ein Verbund soll das Problem lösen?

Späth: Ja, wir brauchen einen Spitalverbund nach dem Muster des Zürcher Verkehrsverbund ZVV, der die einzelnen Häuser nicht zentralistisch führt, aber die Investitionen steuert.

Aber wer soll den Verbund steuern?

Späth: Im Kanton St. Gallen setzt der Regierungsrat einen Verwaltungsrat ein, der die Investitionsplanung macht. Es darf Wettbewerb geben, aber nicht bei den Investitionen.

Vogel: Einerseits sagt ihr, der Wettbewerb sei schädlich, andererseits sprecht ihr vom Pseudowettbewerb, was ja hiesse, dass es ihn nicht gibt. Das müsstet ihr einmal klären. Vor allem ist mir aber nicht klar, was es bringen soll, wenn eine planwirtschaftliche Verbundsstruktur aufgezogen wird. Der Wettbewerb unter den Verbundsspitälern bestünde genau gleich. Und der Verbund liefe Gefahr, es aus politischen Gründen allen recht machen zu wollen. Nein, wir müssen schauen, dass die Spitäler ihre Rentabilität beeinflussen können durch ihr eigenes Geschäften im Markt.

Die Kosten wachsen im Moment aber trotz Wettbewerb. 

Vogel: Wenn die Spitäler flexibler werden, ihr Kapital selber äufnen, einsetzen und Investitionen steuern können, sollte das mittelfristig auf die Kostensteigerung mindestens mindernd wirken.

Späth: Das ist das Prinzip Hoffnung.

Vogel: Dass ein Verbund das Problem löst, folgt nicht weniger dem Prinzip Hoffnung.

Späth: Ich wäre ja gerne bereit auf konstruktive Vorschläge von Euch einzugehen. Aber ich höre nichts anderes als den marktideologischen Ansatz.

Vogel: Wenn wir höhere Franchisen vorschlagen, sagt ihr Nein. Wenn wir einen höheren Selbstbehalt wollen, sagt ihr Nein. Wenn man die Arztwahl einschränken will, sagt ihr Nein.

Späth: Ja, bei der Arztwahl braucht es Wettbewerb. Dort hat der Patient eine echte Wahlfreiheit.

Einen Markteingriff plante der Regierungsrat bei Kliniken mit vielen Zusatzversicherten. Die Bürgerlichen lehnen die Abschöpfungsabgabe aber ab. Sie, Herr Späth, geisselten dies scharf. Der Kanton schiebe südafrikanischen Investoren Geld in den Rachen, sagten Sie. Da klangen Sie fast wie ein Jungsozialist.

Markus Späth: Das zeigt eben die Breite unserer Partei auf und dass ich ganz nahe an ihrem Herzen bin.

Die Juso sind das Herz der Partei?

Späth: Die Juso gehören auch zum Herz der Partei. Aber im Ernst. Dass die Bürgerlichen unter der Ägide der FDP diese Abgabe streichen, ist ärgerlich. Die Klinik Hirslanden, die am meisten betroffen wäre, macht massiv mehr Gewinn als alle anderen Listenspitäler. Der Grund dafür ist vor allem, dass sie einen weit unterdurchschnittlichen Anteil an allgemeinversicherten Patienten betreut. Gegen Gewinn spricht nichts, wenn man effizient arbeitet. Aber es ist problematisch, wenn er zustande kommt, weil ein Spital seine Klientel einseitig auswählt. Es wäre deshalb richtig, bei Spitälern, die nicht für alle Patienten da sind, Gewinn abzuschöpfen.

Warum stemmt sich die FDP gegen die so genannte Lex Hirslanden, Herr Vogel?

Thomas Vogel: Ich besitze keine Aktien der Hirslanden (lacht). Ich finde es falsch, wie hier willkürlich eine neue Steuer eingeführt werden soll. Die Fraktionserklärung von Markus Späth war ideologisch – und er operierte mit nachweislich falschen Zahlen. Es ist nicht verwerflich, wenn ein Unternehmen Gewinn macht. Und es ist ein durchaus zulässiges Geschäftsmodell, dass die Klinik Hirslanden einen hohen Anteil an zusatzversicherten Patienten anstrebt. Die entscheidende Frage ist, ob das Spital systematisch allgemeinversicherte Patienten ausschliesst, wie es Markus Späth gerade behauptet hat. Das wäre in der Tat inakzeptabel, nur gibt es dafür laut Gesundheitsdirektion keinerlei Belege. 

Späth: Schauen Sie sich doch einmal die Zahlen an: Die Klinik Hirslanden hat nicht einmal einen Anteil von 25 Prozent an Allgemeinversicherten. Wie sie das hinbekommt, kann ich nicht beurteilen. Überdies ist die Spitalsteuer ja eine Idee von FDP-Regierungsrat Thomas Heiniger, sie ist also auf liberalem Mist und nicht auf linkem Mist gewachsen. Offensichtlich hat er gemerkt, dass man Hirslanden gar nicht auf die Spitalliste hätte nehmen sollen. Aber für die FDP ist ja weder die Spitalsteuer noch die Streichung der Hirslanden von der Spitalliste ein Thema.

Vogel: Wer hätte denn etwas davon, wenn Hirslanden nicht mehr auf der Spitalliste wäre? Niemand. Die Grundversicherten könnten sich nicht mehr dort behandeln lassen. Der Kanton würde keinen Rappen sparen, denn diese Patienten würden einfach in ein anderes Spital wechseln – und auch dort bezahlt der Kanton 55 Prozent der stationären Kosten. Klar ist: Es besteht der politische Druck, dass die Klinik ihren Anteil an Allgemeinversicherten erhöht. Und ich gehe davon aus, dass man dies bei Hirslanden auch verstanden hat.

Die Frage nach mehr Markt oder mehr Staat stellt sich auch bei der kantonalen Abstimmung vom 21. Mai. Das Kantonsspital Winterthur und die Integrierte Psychiatrie sollen in Aktiengesellschaften umgewandelt werden. Die SP warnt vor einem Ausverkauf des Gesundheitswesens. Warum ist die FDP dafür?

Vogel: Die Spitäler brauchen eine Struktur, mit der sie sich flexibel im Markt bewegen können. Und für Gebilde dieser Grösse ist die Aktiengesellschaft die Struktur schlechthin. Die Umwandlung ermöglicht zudem, wichtige Kooperationen einzugehen und flexibler zu entlöhnen.

Das klingt doch elegant. Wieso haben Sie etwas dagegen, Herr Späth?

Späth: Einverstanden, es braucht mehr Freiheit für die Spitäler. Die AG ist eine mögliche Form. Das Problem ist aber, dass der Kanton seine Aktien nach fünf Jahren frei verkaufen kann. Nur wenn er die Mehrheit veräussern will, untersteht dies dem fakultativen Referendum. 

Vogel: Und ich zweifle nicht daran, dass Ihr das ergreifen werdet.

Späth: Ja, das kann ich jetzt schon garantieren. Für die Abstimmung im Mai aber gilt: Wehret den Anfängen. Immerhin geht es um die Grundversorgung für mehrere hunderttausend Menschen.

Vogel: Die bricht doch nicht zusammen, wenn ein Privater das Spital übernimmt.

Späth: Wenn wir keine Garantien haben, kann das passieren. Im Gesetz heisst es lediglich, es müsse langfristig ein erfolgreicher Spitalbetrieb garantiert werden. Das bedeutet aber, dass man nicht lukrative Behandlungen streichen kann. Wenn im Gesetz verankert wäre, dass der Kanton der Mehrheitseigentümer bleiben muss, hätten wir der Umwandlung in eine AG zugestimmt.

Vogel: Der Verkauf würde eine Bewilligung durch den Kantonsrat brauchen, und es käme sicher zu einer Abstimmung. Das ist doch eine gewaltige Hürde. Und sollte das Volk einem Verkauf an einen privaten Betreiber zustimmen, dann wäre das doch in Ordnung.

Späth: So weit wird es nicht kommen. Wir werden schon die Abstimmung am 21. Mai gewinnen. (lacht) Aber ich frage mich, warum ihr nicht dem Kompromiss zustimmen konntet, dass der Kanton Mehrheitsaktionär bleiben muss. Dann wäre uns diese Abstimmung nämlich erspart geblieben. Und das Kantonsspital Winterthur hätte mehr Flexibilität.

Vogel: Der fundamentale Unterschied liegt wohl darin, dass ihr meint, der Staat könne ein Spital besser führen als Private. Das sehen wir anders. Die Sicherung der Grundversorgung kann die Gesundheitsdirektion über Leistungsaufträge steuern. Dafür braucht es keine Staatsspitäler. Und schon gar nicht muss der Kantonsrat in unternehmerische Entscheide involviert werden, dafür ist er das falsche Gremium.

Späth: Die Spitäler der Grundversorgung sollen im Besitz des Kantons bleiben. Sie sind «too big to fail». Wenn sich ein Privater verspekuliert und Konkurs geht, muss der Kanton das Spital wieder übernehmen, mit allen Verlusten, die bleiben. Und das wollen wir verhindern. Es braucht nicht staatliche Führung, sondern staatliche Kontrolle.

Vogel: Ein Spital, das im Besitz des Kantons ist, kann genauso in finanzielle Schieflage geraten, so dass am Schluss der Steuerzahler den Schaden hat.

Späth: … aber ohne dass vorher die Gewinne privatisiert worden wären.

Vogel: …vor allem wären davor Steuern bezahlt worden.

Die SP ergreift setzt in Zürich vermehrt auf Referenden oder Initiativen. Sehen Sie sich seit den letzten Wahlen 2015 im Kantonsrat verstärkt in der Oppositionsrolle, Herr Späth?

Späth: Ja, das ist so. Unsere Situation ist nicht hoffnungslos, aber schwierig.

Ist das frustrierend oder lustvoll?

Späth: Für mich eher lustvoll. Ich bin jemand, der die Konfrontation nicht scheut. Und wir bekommen in entscheidenden Fragen ja auch Recht vom Volk. 

Würden Sie von einem Rechtsrutsch im Kanton sprechen, Herr Späth?

Späth: Eindeutig. Die Leistungsüberprüfung 16 zum Beispiel ist ein unnötiges Sparpaket, die klar positive Rechnung 2016 hat uns schon recht gegeben. 

Vogel: Der bürgerliche Schulterschluss funktioniert in Zürich, vor allem in den Bereichen Steuern, Finanzen, Infrastrukturen. Wir hatten aber vorher schon die Mehrheit im Kantonsrat. Verändert hat sich das Zünglein an der Waage. Früher war es die GLP, heute ist es die CVP oder die BDP. Von einem Rechtsrutsch würde ich nicht sprechen. Ich bin aber dankbar, dass wir eine komfortablere bürgerliche Mehrheit haben – und die Begehrlichkeiten von linker Seite verhindern können. Ich überlege mir ab und zu, wie es wäre, wenn ich auf der anderen Seite sitzen und fast jeden Montag als Verlierer aus dem Saal gehen würde. Das braucht wohl eine spezielle psychologische Disposition.

Späth: Danke für das Bedauern. Die Mehrheitsverhältnisse haben sich aber schon spürbar akzentuiert. Gegenwärtig ergehen sich die Bürgerlichen ja gerade in ihrer Lust am Sparen: etwa in der Bildung oder im Gesundheitswesen. Dass sie nun aber die «Lex Hirslanden» ablehnen und den Pendlerabzug erhöhen zeigt, dass es Ihnen gar nicht um den Haushalt geht. 

Vogel: Ich weiss nicht, wie man auf die abstruse Idee kommen kann, dass Sparen Spass machen könne. Auch bürgerliche Politiker finden es erheblich befriedigender, wenn sie investieren können, statt etwas zu streichen. Aber im Gegensatz zu Euch haben wir ein finanzpolitisches Gewissen. Ausserdem ist der Haushaltsausgleich in der Verfassung festgeschrieben. Darin steht aber auch, dass wir als Parlament nur an den Saldo gebunden sind. Wir können also auch andere Ideen präsentieren als der Regierungsrat, sofern die Rechnung am Schluss aufgeht.

Mit dem Deal, den die Bürgerlichen nun eingegangen sind, ist es aber absehbar, dass am Ende ein Fehlbetrag entsteht – und wohl über 100 Millionen Franken fehlen. 

Vogel: Das Paket der FDP ist in sich stimmig.

Späth: Aber Ihr seid noch nicht allein mehrheitsfähig.

Vogel: Für alle Massnahmen, die wir abgelehnt haben, haben wir Kompensationsmassnahmen vorgeschlagen. Dass wir nun für die Spitalsteuer und den Pendlerabzug einen Kompromiss mit den anderen bürgerlichen Parteien eingegangen sind, ist ein normaler Vorgang. Mit der SP wären wir wahrscheinlich nicht besonders weit gekommen.

Späth: Habt Ihr es versucht?

Vogel: Zum Teil.

Späth: Also bis zu mir ist das nicht vorgedrungen.

Vogel: Ihr sagt immer, Ihr seid bereit – aber es schaut nie etwas dabei heraus. Ihr macht vollmundige Medienkonferenzen, in denen ihr durchaus Sparpotenzial ortet. In Budgetdebatten kommt von der SP dann aber nie etwas, das auch nur ein paar wenige Franken Einsparungen bringen würde. 

Späth: Wir haben Druck auf die Regierung gemacht und erreicht, dass in den Budgets Luft abgelassen wird – da reden wir von mehreren hundert Millionen Franken.

Vogel: Jetzt sind wir im Bereich der Geschichtsklitterung.

Späth: Nein, das ist eine Tatsache.

Im Dezember wird es darum gehen, den Steuerfuss des Kantons für die nächsten zwei Jahre festzusetzen. Was ist von Ihnen zu erwarten?

Späth: Wir sind nicht aus Begeisterung für höhere Steuern. Wir fordern eine Erhöhung dann, wenn die gesetzlich vorgegebenen Leistungen des Staats nicht mehr erbracht werden können.

Vogel: Für uns steht eher zur Diskussion, den Steuerfuss zu senken. Der Pendlerabzug ist faktisch eine Steuererhöhung. Wir stimmen ihm aus verschiedenen Gründen mit einer Begrenzung auf 5000 Franken zu. Im Gegenzug muss aber der allgemeine Steuerfuss gesenkt werden.

Beitrag der Neue Zürcher Zeitung vom 31.03.2017 Seite 18