Das Weinland verdient eine gute Pflege

Sei es in Pflegeheimen, im Spital oder bei der Spitex: Überall wird vor allem von Freisinnigen ökonomischeres Arbeiten gefordert. Im Bereich der Pflege ist das widersinnig: Kranke, ältere oder behinderte Menschen können nicht beschleunigt werden. Effizienzsteigerung geht praktisch immer zu Lasten von PatientInnen.

Die kürzlich vorgebrachte Kritik gegenüber dem Pflegeheim Marthalen ist keine Ausnahme, sondern symptomatisch für unsere Zeit: Extrem hohe Fluktuation in Pflegeberufen, temporär und unqualifizierte Angestellte müssen herhalten als kostengünstiger, aber aus fachlicher Sicht ungenügender Ersatz; vertiefte Informationen über PatientInnen und über Abläufe gehen verloren; die Expertise des Fachpersonals wird bei wichtigen Entscheidungen selten berücksichtigt. Im Endeffekt kann das Personal Betroffene nicht ausreichend einschätzen und somit nicht angemessen pflegen.

Die Diskussion um die Privatisierung des Kantonsspital Winterthur geht bald in die letzte Runde. Auch hier soll wirtschaftlicher gearbeitet, mehr Gewinn erzielt werden. In manchen Abteilungen mag das einleuchten. Erfahrungsgemäss führt reines Profitdenken aber dazu, dass unsere Grundversorgung zugunsten von weniger wichtigen, aber gewinnbringenderen Bereichen vernachlässigt wird.

Auch von der Weinländer Spitex wird immer mehr verlangt, dass jeder berappbare Arbeitsschritt dokumentiert wird. Nur: Dienstleistungen, die für die Gesundheit der betreuten Menschen wichtig sind – ein Gespräch über die Befindlichkeit, die reine Präsenz der Pflegenden – können nicht abgerechnet werden.

Etwas polemisch gesagt: Für Menschlichkeit ist kein Platz mehr.

Wir alle werden im Laufe unseres Lebens gute Betreuung brauchen; sei es als selbst Betroffene oder Angehörige. Unbezahlte und bezahlte Betreuung für Kinder und Erwachsene – kurz Care-Arbeit – ist in unserer Gesellschaft unzureichend anerkannt. Das ist umso erstaunlicher, als diese Art von Arbeit unverzichtbar ist und mit der steigenden Lebenserwartung immer wichtiger wird.

In einem Land wie der Schweiz muss es möglich sein, eine würdige Betreuung für kranke, ältere oder behinderte Menschen zu ermöglichen. Politik, Verwaltungsräte und Leitungen müssen genügend Ressourcen für qualifiziertes Fachpersonal zur Verfügung stellen. Privatisierungen und Sparmassnahmen im Pflegebereich sind in jedem Fall kurzsichtig und schaden schlussendlich allen.

Dominique Späth, Feuerthalen

Wer Nationalismus sät, wird Instabilität und Konflikte ernten

Kantonsratskolumne für Dienstag, 28. 6. 2016

Der Austrittsentscheid Grossbritanniens aus der EU war am Montag auch ein Thema im Zürcher Kantonsrat. Ich präsentierte für die SP vor der Pause eine Fraktionserklärung, welche von einigen SVP-Parlamentariern anfänglich mit unüberhörbarem Triumph-Gejohle quittiert wurde. Es wurde dann aber bald wieder ruhig im Saale und ich konnte die Erklärung ohne weitere Störung vortragen.

Es ging uns darum zu betonen, dass die Europäische Union und ihre Vorgängerorganisationen Europa seit mehr als 60 Jahren die längste Friedensperiode seiner Geschichte geschenkt haben und dass diese Leistung höchste Wertschätzung verdiene. Die EU ist kein undemokratisches Bürokratiemonster. Gerade die Brexit-Abstimmung beweist das Gegenteil. Die Briten konnten gestützt auf Artikel 50 des Lissaboner Bündnisvertrag ihr demokratisches Recht wahrnehmen und über den Austritt abstimmen. Das ist selbst in den demokratischsten Verfassungen der Welt nirgends sonst vorgesehen.

Das Ergebnis der britischen Abstimmung ist selbstverständlich zu respektieren. Trotzdem muss es uns nachdenklich stimmen: Nicht nur in England – in vielen europäischen Staaten nehmen offensichtlich wachsende Teile der Bevölkerung die EU nicht mehr als Friedensprojekt wahr, sondern als Bedrohung: Globalisierungsverlierer, stagnierende Mittelschichten, Jugendliche ohne wirtschaftliche Perspektive und verunsicherte RentnerInnen lassen sich mit billigen populistischen und fremdenfeindlichen Parolen verführen. Personenfreizügigkeit ohne Schutz der Arbeitsplätze, Löhne und Renten machen sie anfällig für trügerische Lösungen auf dem Buckel der Schwächsten der Gesellschaft.

Die Antwort liegt auf der Hand: Sichere Arbeitsplätze, Einkommen, die zum Leben reichen, und Vertrauen in eine funktionierende Altersvorsorge sind unverzichtbare Grundwerte. Sie allein ermöglichen Solidarität und übernationale Kooperation. Die EU hat nur dann eine Zukunft, wenn es nach dem Brexit gelingt, die bisherige einseitige wirtschaftliche Liberalisierung mit sozialen Werte und Ziele zu flankieren. Das gilt im Übrigen auch für unser Land und für den Kanton Zürich. Fremdenfeindlichkeit und Abschottung werden auch bei uns wachsen, wenn Lohndumping und unfaire Arbeitsbedingungen nicht konsequent bekämpft werden. Gerade im Kanton Zürich haben wir da die Hausaufgaben alles andere als gründlich gemacht.

Ohne eine grundsätzlich Umbesinnung wird der Austritt Grossbritanniens die Sicherheit und den Wohlstand des ganzen Kontinents gefährden und die auseinanderstrebenden Kräfte in der Europäischen Union stärken. Das aber ist keine gute Perspektive. Wer Nationalismus sät, wird Instabilität und Konflikte ernten – zum Schaden Europas, der Schweiz und des Kantons Zürich.

Die grösste Überraschung erlebte ich dann nach der Pause, als mir einer der vehementesten EU-Gegner im Rat einen wunderbaren Strauss langstieliger roter (!) Rosen überreichte. Offenbar hat ihn die Fraktionserklärung tief beeindruckt; vielleicht wollte er uns aber auch nur trösten – so klar wurde das nicht … Es war jedenfalls eine Geste, die viel über den Umgang im Rat verrät. Wir sind hart in der Sache, immer mal wieder für eine Überraschung gut, begegnen uns aber (meistens) mit Respekt und nicht ganz ohne Sympathie – über alle Parteigräben hinweg.

Markus Späth-Walter, Kantonsrat SP, Fraktionspräsident, Feuerthalen