Der dichte Pulverdampf hat sich verzogen, die klarere Luft erlaubt eine erste Würdigung der Ergebnisse des Wahlwochenendes.
Man sollte mit Superlativen – gerade in der Politik – zurückhaltend sein. Was aber am letzten Wochenende bei den Regierungsratswahlen passiert ist, verdient das Attribut «sensationell». Zürich hat eine Premiere erlebt. Zum ersten Mal in der Geschichte finden wir die Kandidierenden der SP ganz an der Spitze der Rangliste. Bei Mario Fehr durfte man das erwarten, seine Politik als Sicherheits- und Sozialminister stösst auf breite Anerkennung bis weit in die Mitte des politischen Spektrums hinein. Jacqueline Fehr hat als Justizministerin klar fortschrittliche Akzente gesetzt, wichtige Reformen im Strafvollzug angestossen und den Dialog mit den Muslimen vertieft. Entscheidend war wohl aber, dass sie als Direktorin des Inneren auch das Verhältnis zwischen Kanton und Gemeinden entspannt und auf eine neue Basis gestellt hat.
Die grösste Überraschung aber ist die Wahl von Martin Neukom in die Regierung. Ja, es war eine Klimawahl; ja, Neukom ist einer der profiliertesten Umweltpolitiker im Kantonsrat – das allein erklärt aber seinen Erfolg nicht ausreichend. Wichtiger für mich ist, dass die rechtsbürgerliche Mehrheit in der vergangenen Legislatur alles getan hat, um ökologische Fortschritte zu verhindern. Steuern senken, Sparen und Strassenbauen – das waren die Leitplanken, an denen FDP und SVP ihre Politik in den letzten vier Jahren ausgerichtet haben. Sehr deutlich wurde das beim Wassergesetz, welches vor wenigen Wochen vom Volk «bachab» geschickt wurde. Die Regierungsratswahl war die konsequente Fortschreibung dieser Geschichte. Es ist deshalb nichts als folgerichtig, dass der junge Ingenieur Neukom bei der Direktionsverteilung in einem Monat die Nachfolge von Baudirektor Markus Kägi antreten und so endlich für eine ökologische Wende in der Energie- und CO2-Politik sorgen sollte. Dass erste prominente Stimmen aus der SVP und der FDP jetzt bereits wieder fordern, die Schlüsseldirektion Bau müsse in bürgerlicher Hand bleiben, zeugt von Unbelehrbarkeit …
Auch im Kantonsrat bietet der Verlust der Mehrheit von FDP und SVP neue Perspektiven. Zum ersten Mal überhaupt gingen Gewinne der Grünen und der GLP nicht – oder nur minim – zu Lasten der SP. In Umwelt- und Verkehrsfragen zeichnen sich neue Mehrheitsverhältnisse ab. Zusammen mit der GLP kann hier Mitte-Links in der kommenden Legislatur tatsächlich etwas bewegen. Die GLP ist keine linke Partei, eine vernünftige Zusammenarbeit in einer ganzen Reihe von Fragen wird aber sehr viel leichter möglich sein als mit der bisherigen rechtsbürgerlichen Mehrheit. Der Fehler von FDP und SVP war offensichtlich: Sie haben – weil sie die Mehrheit hatten im Rat – in den letzten Jahren einfach ihr Ding durchgezogen, ohne auch nur nach Links zu schielen. Diesen Fehler sollte die «neue» Mehrheit vermeiden. Sie sollte den Dialog mit allen Fraktionen, ja auch mit der verkleinerten SVP und FDP, suchen und Lösungen erarbeiten, die nicht nur im Kantonsrat eine Mehrheit finden, sondern auch bei allfälligen Referendumsabstimmungen im Volk.
Markus Späth-Walter, Kantonsrat, SP-Fraktionspräsident, Feuerthalen