Johann Schneider-Ammann fordert in der letzten NZZ am Sonntag eine «verschärfte Matur»: «Lieber weniger, dafür bessere Maturanden» lässt er sich zitieren und erntet breite Zustimmung. Im Kanton Zürich hat die Politik seit Jahren das Aufnahmeverfahren in die Gymnasien im Visier: Umstritten ist der Anteil der SchülerInnen im Kurz- und Langgymnasium, die Ausgestaltung von Aufnahmeprüfung und Probezeit und die riesigen Unterschiede in der Vorbereitung der Kinder auf den Übertritt. Die politische Diskussion fokussiert damit auf die Frage der Quantität und geht unhinterfragt davon aus, dass eine verschärfte Selektion automatisch auch die Qualität erhöhen würde.
Über die «richtige» Maturquote lässt sich episch streiten. Tatsache ist, dass sie von Kanton zu Kanton und von Region zu Region enorm unterschiedlich ist. Spitzenreiter sind Genf und das Tessin mit fast 30%; Schlusslichter sind St. Gallen, Thurgau und Schaffhausen (mit 15%). Auch in Schaffhausen gibt es aber Gemeinden mit fast 30% Maturanden pro Jahrgang, in Zürich erreichen die hoch geförderten Kids im Fettgürtel rechts des Sees sogar fast 40%.
Ich unterrichte seit 40 Jahren an Kantonsschulen. Vieles hat sich in dieser Zeit verändert. Nicht verändert hat sich über alle Jahre hinweg im Lehrerkollegium die Einschätzung der «richtigen» Schülerzahl: Nach dem Grundsatz «Macht des Faktischen» betrachtet die grosse Mehrheit immer das gerade an der eigenen Schule erreichte Mass als grundsätzlich richtig, nicht aber ohne hinzuzufügen, selbstverständlich gebe es in jedem Jahrgang eine ganze Reihe von SchülerInnen, die das hehre Ziel der Studierfähigkeit nicht oder zumindest nicht vollständig erreiche …
Fruchtbarer, als über Quoten zu streiten, scheint mir deshalb, die Frage der Studierfähigkeit inhaltlich-qualitativ anzugehen. Die ETH und die Universität Zürich nehmen sich auf Initiative der Zürcher Kantonsschulen dieser qualitativen Frage seit rund 10 Jahren an. Dozierende und GymilehrerInnen versuchen im Dialog gemeinsam, die Anforderungen bei Studienbeginn zu analysieren und den Übertritt ins Studium zu optimieren. In die gleiche Kerbe schlägt auch die Studie des Zürcher Bildungsforschers Franz Eberle: Er definierte im Auftrag der Eidgenössischen Erziehungsdirektoren-Konferenz mit empirischen Methoden die grundlegenden Kompetenzen, welche in der Muttersprache und Mathematik für erfolgreiches Studieren fächerübergreifend nötig sind.
Diese Ansätze sind erfolgversprechend: Sie dienen den SchülerInnen und den LehrerInnen als Orientierungshilfe. Die Schulen sind nun aufgefordert, mit geeigneten Mitteln dafür zu sorgen, dass alle ihre Absolventen spätestens bei der Maturität über die nötigen Fähigkeiten für erfolgreiches Studieren verfügen. Es ist dies ein pädagogisch anspruchsvoller Ansatz; er setzt einen stärker individualisierenden Unterricht und genügend Ressourcen voraus. In Zeiten von Staatsabbau und Budgetkürzungen sind die Bedingungen dafür alles andere als günstig. Maturklassen mit mehr als 25 SchülerInnen jedenfalls sind dafür nicht geeignet.
Da ist es dann halt einfacher, mit Schneider-Ammann nach schärferer Selektion zu schreien. Dem ist die alte Erkenntnis entgegenzuhalten: Vom Wägen wird die Sau nicht fett …
Markus Späth-Walter, Geschichtslehrer, Zürcher Kantonsrat, SP-Fraktionspräsident, Feuerthalen